FRANKFURT/LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Der Kursverfall der Bayer-Aktien <DE000BAY0017> infolge der Milliarden-Rechtsrisiken in den USA hat auf der Hauptversammlung der Leverkusener abermals für reichlich Aktionärsschelte gesorgt. Bayer-Chef Bill Anderson betonte am Freitag erneut, die Rechtsrisiken bis Ende 2026 signifikant eindämmen zu wollen. Neues gab es allerdings nicht, die Unsicherheiten und damit auch die finanziellen Risiken bleiben groß. Gleichwohl entlasteten die Aktionäre Vorstand und Aufsichtsrat. Auch der Weg für eine mögliche massive Kapitalerhöhung wurde freigemacht.
Seit dem letzten Aktionärstreffen vor einem Jahr haben die Anteilscheine deutlich verloren, während der deutsche Leitindex Dax <DE0008469008> zugelegt hat. Mit einem Börsenwert von noch rund 23 Milliarden Euro ist Bayer mittlerweile zu einem Zwerg im Dax geworden.
"Aus Sicht des Kapitalmarktes hat Bayer drei große Herausforderungen: die Klagewelle, die Zukunft von Glyphosat und eine schwache Pharmapipeline", fasst Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment, die Lage aus seiner Sicht zusammen. Bayer stecke in einer strategischen Sackgasse. Zwar habe Bayer-Chef Bill Anderson den 2018 abgeschlossenen Kauf des US-Agrarchemiekonzerns Monsanto nicht zu verantworten, so Speich. "Aber nächstes Jahr um diese Zeit sind Sie fast drei Jahre an der Spitze von Bayer. Bis dahin muss sich der Aktienkurs nach oben bewegt haben."
Die Monsanto-Übernahme hatte Andersons Vorgänger Werner Baumann gegen den Widerstand vieler Investoren durchgeboxt; er brachte den Leverkusenern die Klagewellen rund um durch den Unkrautvernichter Glyphosat und die seit Jahrzehnten verbotene Umweltchemikalie PCB ein, die schon Milliarden Euro verschlungen haben. Das Kursminus seit Sommer 2018, als der erste Glyphosat-Prozess verloren ging, beläuft sich auf etwa drei Viertel.
Wegen hoher Schulden hatte Bayer die Dividende 2024 auf das gesetzliche Minimum zusammengestrichen, auch im laufenden Jahr werden nur wenige Cent je Aktie ausgeschüttet. Gleichwohl: "Der Schuldenabbau, der laut Herrn Anderson 'Priorität hat', kommt kaum voran", kritisiert Janne Werning, Leiter ESG Capital Markets & Stewardship bei der Fondsgesellschaft Union Investment. Die Agrarsparte, um derentwillen man Monsanto übernommen habe, sei das neue Sorgenkind. Operativ laufe es nicht rund, von den versprochenen Synergien zwischen Pflanzenschutz und Saatgut sei nicht viel zu sehen.
Trotz aller Kritik stimmte die Hauptversammlung dem Bayer-Bestreben zu, den Weg freizumachen für eine mögliche Kapitalerhöhung um bis zu 35 Prozent. Laut Anderson gibt es "derzeit keine konkreten Pläne, von diesem genehmigten Kapital Gebrauch zu machen." Aber es würde wichtigen Handlungsspielraum geben, "die Rechtsstreitigkeiten einzudämmen und das Kreditrating auf einem angemessenen Niveau zu halten." Das Geld würde nur für eine Eindämmung der Rechtsstreitigkeiten in den USA genutzt werden, nicht für Übernahmen oder vergleichbare Schritte.
Bayer hatte sich erst jüngst abermals an das höchste US-Gericht, den Supreme Court, in der Hoffnung auf eine wegweisende Entwicklung zum Thema Glyphosat gewandt. Hintergrund sind widersprüchliche Urteile von Bundesberufungsgerichten im Streit um angebliche Krebsrisiken durch glyphosathaltige Unkrautvernichter. Dabei steht die grundsätzliche Frage im Raum, ob das US-Bundesrecht zu Warnhinweisen beim Verkauf von Unkrautvernichtern über dem Recht von Bundesstaaten steht. Selbst wenn die obersten US-Richter sich der Sache annehmen, dürfte eine Entscheidung wohl erst im kommenden Jahr anstehen.
Neben dem Gang vor das höchste US-Gericht hatte Bayer vor einige Zeit schon die Lobbyarbeit in US-Bundesstaaten mit Blick auf Gesetzesänderungen intensiviert. Im Kern geht es hier - ebenfalls um die Debatte, ob Bundesrecht zu Warnhinweisen beim Verkauf der Unkrautvernichter über dem Recht von Bundesstaaten steht.
Für den Fall, dass der Druck durch die vielen US-Glyphosatklagen zu hoch wird, stellte Anderson auf der Hauptversammlung abermals die Möglichkeit eines Stopps des Verkaufs des Unkrautvernichters in den USA in den Raum. Das aber würde die Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von Importen aus China erhöhen - und das in einer Zeit eines umfassenden Handels- und Zollstreits der beiden Länder./mis/he