BERLIN (dpa-AFX) - Der Trend zu immer größeren Autos in Europa lässt sich auch an der Höhe der Motorhauben ablesen - mit möglichen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit besonders von Kindern. Denn eine höhere Front erschwert es Fahrerinnen und Fahrern, kleinere Menschen unmittelbar vor dem Fahrzeug zu erkennen, wie aus einer Untersuchung des Europäischen Verbands für Verkehr und Umwelt (T&E) hervorgeht.
Motorhauben im Schnitt 83,4 Zentimeter hoch
Die durchschnittliche Höhe von Motorhauben in Großbritannien und der EU hat seit 2010 pro Jahr um einen halben Zentimeter zugenommen und lag 2024 bei 83,4 Zentimetern, wie T&E mitteilte. Fast die Hälfte aller Neuzulassungen in den untersuchten Regionen kommt demnach auf eine Höhe der Motorhaube von mehr als 85 Zentimeter. Bei 1,5 Prozent der neuen Fahrzeuge ist es dem Verband zufolge sogar mehr als ein Meter. T&E fordert deshalb eine gesetzliche Obergrenze: "Wir empfehlen eine maximale Höhe von 85 Zentimetern ab 2035" - abhängig von weiteren Untersuchungen, schreiben die Autorinnen und Autoren.
Denn mit höheren Motorhauben steige im Falle von Unfällen das Risiko schwerer Verletzungen, insbesondere bei Fußgängern. "Bei Unfällen treffen SUVs und Pick-up-Trucks mit hoher Motorhaube erwachsene Fußgänger in der Regel oberhalb des Schwerpunkts, wobei sie oft zuerst lebenswichtige Organe in der Körpermitte treffen." Das erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass die Opfer nach vorne geschleudert und überrollt werden.
Seit Jahren Boom bei SUV und Geländewagen
Kleinere Fahrzeuge träfen Fußgänger hingegen eher unterhalb des Schwerpunkts. Dadurch erhöhe sich die Chance, dass sie auf das Auto fallen und schließlich zur Seite abrollen. Der T&E zitiert Studien, basierend auf Daten aus Belgien, wonach ein Anstieg der Motorhaubenhöhe von 80 auf 90 Zentimeter das Risiko für Fußgänger und Radfahrer um mehr als ein Viertel erhöht, dass ein Unfall mit einem solchen Fahrzeug für sie tödlich ausgeht.
Die wachsende Höhe der Motorhauben ist vor allem mit dem seit Jahren anhaltenden Boom bei sogenannten SUV und Geländewagen zu erklären. Im vergangenen Jahr machten diese beiden Segmente dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zufolge mehr als 40 Prozent aller Neuzulassungen in Deutschland aus.
Zum 1. Januar dieses Jahres waren demnach hierzulande rund 6,6 Millionen SUV zugelassen, fast zehn Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Damit gehörten mehr als 13 Prozent aller in Deutschland gemeldeten Autos zu dieser Fahrzeugklasse. Bei den Geländewagen waren es mit 3,3 Millionen Einheiten 6,6 Prozent des Bestands - zusammen also fast ein Fünftel.
Statistik zeigt keine Auffälligkeiten
Auch andere Fachleute erkennen in den Fahrzeugen ein Sicherheitsrisiko. "Insassen schwerer Fahrzeuge, wie etwa SUVs, sind bei Unfällen in der Regel besser geschützt als Personen in kleineren Autos, unter anderem durch eine robustere Bauweise und eine erhöhte Sitzposition", sagt etwa Richard Goebelt, Fachbereichsleiter Fahrzeug und Mobilität beim Tüv-Verband. Für die Unfallgegner steige hingegen das Verletzungsrisiko, "da größere Fahrzeuge durch ihre höhere Masse und Bauform, etwa durch höhere Motorhauben, stärkere Aufprallkräfte erzeugen können".
Statistiken zu Verletzungen im Zusammenhang mit der Motorhaubenhöhe gibt es nicht. Daten des Statistischen Bundesamts zeigen lediglich, welche Fahrzeugklassen wie oft Unfälle mit Verletzten oder Toten verursacht haben. Im Jahr 2023 verursachten SUV demnach zwar knapp jeden zehnten Unfall mit Personenschaden. Das entspricht aber in etwa ihrem Anteil am Gesamtbestand aller Pkw. Geländewagen verursachten demnach hingegen etwa 5,6 Prozent aller Unfälle, bei denen Menschen zu Schaden kamen. Das war deutlich mehr als es ihrem Anteil entsprechen würde.
Versicherer warnen vor vorschnellen Schlüssen
Die Unfallforschung der Versicherer warnt vor vorschnellen Schlüssen, was die Verkehrssicherheit von SUV angeht. "Man kann schon sagen, dass die Höhe der Motorhaube ein Risiko sein kann für schwerere Verletzungen gerade bei kleineren Fußgängern", sagte die Leiterin, Kirstin Zeidler. "Aber das Verletzungsrisiko hängt eben nicht allein von der Höhe der Motorhaube ab." Die Unfallsituation spiele eine wichtige Rolle, bei einem Frontalaufprall aber auch Länge und Neigung der Motorhaube sowie der Abstand zur Frontscheibe.
Auch die Geschwindigkeit sei entscheidend. "Ein vorsichtig gefahrener SUV ist nicht gefährlicher als ein unvorsichtig gefahrener normaler Pkw", betont Zeidler. Veränderte Bauweisen und Fahrer-Assistenzsysteme hätten zudem ebenfalls einen Einfluss auf Verletzungsschwere und Unfallrisiko. Diese Aspekte kämen in der T&E-Studie allerdings zu kurz./maa/DP/zb